31. Oktober 2025
Daniel Storb zu einem aktuellen Thema:

Reformation bleibt eine Zumutung


Am 31. Oktober erinnern evangelische Christenmenschen an den Beginn der Reformation. Martin Luther, so heißt es, schlug 1517 seine 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche in Wittenberg als Protest gegen den Ablasshandel und die Machtstrukturen seiner Zeit. Wer genug zahlte, konnte sich Gottes Gnade sichern. Den anderen wurde mit der Verdammnis gedroht. Er stellte diese Kirche infrage, weil sie mit Angst arbeitete, der Angst vor dem Strafe nach dem Tod Luthers Einspruch dagegen war kein Angriff auf den Glauben, sondern ein Aufstehen gegen religiöse Willkür, eine Befreiung aus Angst und Abhängigkeit.

Doch Reformation ist mehr als Geschichte. Sie ist eine Haltung. Reformation heißt: Alles darf auf den Prüfstand. Auch das, was uns selbstverständlich scheint. Luthers Entdeckung war eine Erfahrung der Gnade: Kein Mensch muss sich Gottes Liebe erst verdienen. Gottes Liebe ist ein Geschenk Das macht frei zum Denken, zum Glauben, zum Handeln.

Diese Freiheit bleibt gefährdet. Bis heute. Wo Wahrheit verbogen wird, wo Angst geschürt und Menschen gegeneinander ausgespielt werden, beginnt neue Unfreiheit. In Russland, wo Kritik zum Lebensrisiko wird und eine Kriegsmaschinerie versucht Fakten mit Gewalt zu schaffen. In den USA, wo Populismus sich mit religiösem Pathos verbindet und das Evangelium für politische Zwecke missbraucht wird. Es ist dieselbe Versuchung wie damals: Glauben zu instrumentalisieren, um Macht zu sichern. Auch in Europa, wo Nationalismus und Antisemitismus wiederkehren, wo Geflüchtete entmenschlicht werden und politische Strömungen das Trennende über das Gemeinsame stellen. Auch in Deutschland wachsen Misstrauen, Hetze und Vereinfachung. Der Politikstil passt sich an. Wenn die politische Sprache unmenschliche Beschreibungen unterstreicht, wenn Entscheidungen getroffen werden, die spalten, statt zu verbinden, dann verrät das den Geist der Freiheit, auf dem unsere Demokratie ruht.

Freiheit lebt nicht von Parolen, sondern von Verantwortung. Von Menschen, die bereit sind hinzusehen, zu widersprechen, aufzustehen. Da, wo Sprache entgleitet, wo Menschen diffamiert, Gruppen gegeneinander ausgespielt, oder demokratisch Prinzipien ausgehöhlt werden, braucht es Widerspruch.

Reformation muss auch heute genau dort ansetzen, wo Macht sich selbst genügt und Kritik unbequem wird. Darum ist Reformation kein nostalgisches Gedenken, sondern eine bleibende Zumutung. Sie fragt uns: Ist das, was wir tun, befreiend? Stärkt es die Würde der Menschen? Ermutigt es zu Vertrauen, zu Mitgefühl, zu Gerechtigkeit? Oder sichern wir nur das, was uns nützt? Reformation bedeutet, unbequeme Fragen zuzulassen – in Kirche, Gesellschaft und Politik. Sie erinnert daran, dass Freiheit kein Besitzstand ist. Sie muss immer wieder errungen werden: im Denken, im Glauben, im Handeln.

Luther konnte sagen: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders.“ Nicht aus Trotz, sondern aus Vertrauen. Wer sich von Gott gehalten weiß, kann aufstehen gegen Angst, gegen Willkür, gegen Hass. Kann glauben, hoffen, lieben und dadurch die Welt verändern. Reformation ist kein Denkmal. Sie ist eine Bewegung. Eine Bewegung hin zu Freiheit, zu Vertrauen, zu Gnade. Und vielleicht liegt die größte Aktualität der Reformation darin, dass wir sie nicht nur feiern, sondern auch weiterführen.

Daniel Storb ist seit 2023 Pfarrer in der Evangelischen Kirchengemeinde St. Wendel-Illtal mit einem Schwerpunkt im Bereich Uchtelfangen. Er lebt mit seiner Familie in Dirmingen.

 


Pfarrer Daniel Storb

Evangelische Kirchengemeinde Uchtelfangen


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