19. November 2022
Christina Wochnik zu einem aktuellen Thema:

Jedes Jahr eine Kerze


Einen Namen vorlesen. Eine Kerze anzünden.
Einen Namen vorlesen. Eine Kerze anzünden.
Einen Namen vorlesen. Eine Kerze anzünden.

Es hat etwas sehr bedächtiges, beinah meditatives, das Totengedenken im Gottesdienst des Ewigkeitssonntags.

Einen Namen vorlesen. Eine Kerze anzünden.
Einen Namen vorlesen. Eine Kerze anzünden.

Es wird ganz ruhig. Stille. Man könnte eine Stecknadel fallen hören. Denn obwohl es so gleichmäßig ist, ist es nicht langweilig oder monoton. Es liegt immer eine gewisse Anspannung in der Luft. Ein Knistern. Jede*r wartet auf den Namen, der er/sie hören will. Den Namen des Mannes, der Tochter, der Tante, des Großvaters, der besten Freundin, des Kollegen.

Einen Namen vorlesen. Eine Kerze anzünden.

Es ist immer ein besonderer Moment, wenn er dann kommt. Der Name des Menschen, den man im Laufe des letzten Jahres verloren hat. Ihn nochmal zu hören. Ausgesprochen. Wie er einen Augenblick in der Luft schwebt, während die Kerze angezündet wird. Ihr Licht verströmt Wärme.

Ich erinnere mich daran, wie es war, als der Name meines Vaters vorgelesen wurde. Es war der Ewigkeitssonntag 2015. Meine Kollegen haben damals netterweise meinen Gottesdienst übernommen, so dass ich in Emmerich an dem Gottesdienst teilnehmen konnte, in dem er verlesen wurde. Die Einladung hatte mich überrascht. Also nicht die Einladung an sich, sondern ein Detail: Nach dem Gottesdienst sollte es ein Frühstück geben. Das kannte ich nicht. Aber ich nahm gerne teil. Mir gegenüber saß eine ältere Dame. Ich kannte sie nicht. Aber wir kamen schnell ins Gespräch. Sie erzählte mir, dass sie seit zehn Jahren jedes Jahr den Gottesdienst am Ewigkeitssonntag besucht. Da war ihr Mann gestorben. Jedes Jahr geht sie wieder in den Gottesdienst und denkt an ihn. Auch, wenn sein Name nicht vorgelesen wird. Sie denkt an ihn. Ich spüre, wie sehr sie das bewegt. Welch große Bedeutung das für sie hat.

Seitdem habe ich mein Totengedenken verändert. Ich halte immer einen Korb mit zusätzlichen Kerzen bereit. Jeder, der jemanden verloren hat, dessen/deren Namen nicht vorgelesen wurde, ist eingeladen eine dieser Kerzen anzuzünden. Sei es, dass die Person nicht aus unserer Gemeinde war oder dass ihr Tod länger her ist als ein paar Monate. Viele nehmen dieses Angebot an.

Weiter Stille. Man hört nur leise, anfangs vorsichtige Schritte.

Eine Kerze wird entzündet. Ein Name wird gedacht.
Eine Kerze wird entzündet. Ein Name wird gedacht.

Auch ich zünde eine Kerze an. Für meinen Vater. Ich spüre, ich bin nicht allein. Gott ist bei mir. Bei uns. In diesem Moment. Ich denke an die Frau, die ich damals getroffen habe. Ich weiß jetzt, wieso sie jedes Jahr in diesen Gottesdienst kommt.

Ich halte noch einen Moment die Stille. Die Orgel setzt ein.

 

Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben. Joh 8, 12





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